Eigentlich
bin ich ja ein Fan der Simple Minds. Ihre Musik hat mich
all die Jahre immer begleitet. Auch wenn meiner Meinung
nach „Real Life“ (1991) das letzte wirklich gute Album
der Schotten war, bin ich immer noch sehr interessiert
gewesen, was ihre Veröffentlichungen angeht. Leider
hatten die Simple Minds doch das gleiche Schicksal, wie
viele ihrer Wegbegleiter aus den guten alten achtziger
Jahren. Der Ruhm verblasst, und der kreative Output
findet nicht mehr den Anklang, den man sich wünscht. Die
Jahre über wurden die Clubs wieder kleiner, wo man
auftritt. Aber Jim Kerr und Charlie Burchill ließen sich
nie von ihrem Weg abbringen und haben sich all die Jahre
irgendwie mit mittelklassigen Alben und nicht enden
wollenden „Best of“-Compilations und Touren über Wasser
gehalten.
Nach ihrer
Akkustiktour 2017 war fast nicht mehr damit zu rechnen,
dass die Simple Minds nochmal mit kreativem Output
glänzen würden, fand sich doch in der Setlist der Tour
kein Stück, das nicht älter als 20-25 Jahre alt war.
Wie Phönix
aus der Asche stehen sie jetzt aber wieder da. „Walk
Between Worlds“ heißt der neue Longplayer, und neben
einer abermals ausgewechselten Mannschaft haben Kerr und
Burchill sich eine Frischzellenkur in Form von Andy
Wright und Gavin Goldberg (Big Music) an die Regler
geholt, die ihnen halfen, das neue Material in die
richtige Form zu bringen. Und sie haben ganze Arbeit
geleistet.
„Magic“,
die erste Single aus dem Album, eröffnet eine verdammt
gute Platte. Selten haben die Minds so frisch,
aufgeklärt und doch rückwärtsgewandt geklungen. „Magic“
hat Dampf und Melodie. Ein Mainstreamhit, wie ich ihn
nicht erwartet habe. Jim Kerr wirkt auch aufgeweckt und
rhythmisch in seinem Gesang. Ein Stück mit Weite. So
viel Frische hätte ich mir von meinen anderen beiden
Lieblingsbands aus den Tagen auf ihren aktuellen Platten
gewünscht. „The Signal And The Noise“ ist ebenso eine
Perle. Jim Kerr besinnt sich im Gesang seiner New
Wave-Wurzeln, und musikalisch ist dieser Song ein Brett.
Mit „Barrowland
Star“ greifen die Simple Minds auf alte Bombaststreicher
und hymnenhafte Melodien zurück. Ein Stück, das mich an
Stadionzeiten mit den Minds erinnert. Als besonderes
Highlight der Platte muss das titelgebende „Walk Between
Worlds“ für mich herhalten. Das langgezogene
Streicherintro lässt mich schwergängige Beats und Kerr’s
Leiden erwarten. Doch weit gefehlt. Es eröffnet sich ein
Stück voll positiver Energie und ist ein weiterer
Kandidat auf den Airplay-Thron.
Was ist
hier also geschehen? Die Frischzellenkur hat den Simple
Minds verdammt gut getan. „Walk Between Worlds“ ist
vielleicht das erste schlüssige Album seit den frühen
neunziger Jahren, wo sie sich von ihrer eigenen
musikalischen Geschichte inspirieren lassen, ohne den
alten Tagen nachzuweinen. „Sense Of
Discovery“ klingt z.B. wie vom 85-Überalbum „Once Upon A
Time“, nur besser.
Jim Kerr
taugt heutzutage nicht als Bono-Zweitauflage wie Ende
der Achtziger, also versucht er es auch gar nicht erst.
Die Welt müssen andere retten. Und die Zeiten, wo Kerr
als Revolutionsanführer gelten wollte, sind lange
vorbei. Das hat Jim Kerr als Speerspitze der Simple
Minds heute alles nicht mehr nötig. Er und sein best
buddy Burchill haben musikalisch ihren Frieden gemacht.
Und das hört man der Platte an. Die Durststrecke der
Simple Minds ist definitiv überstanden. Vielen Dank
dafür!
13.11.2017: Boytronic
- Jewel
Wie
kann man 2017 am besten eine Platte pushen? Am besten
mit einem kleinen Eklat wie Streit der Mitglieder
untereinander, Tod oder andere Skandale.
Diese
Strategie scheinen Boytronic auch dieses Mal gewählt zu
haben. Ihr neuestes Werk „Jewel“ erlangt hauptsächlich
dadurch Aufmerksamkeit, weil es das erste Album ohne ein
Gründungsmitglied der Band ist. Hintergrund: Holger
Wobker, Gründungsmitglied und seit jeher Sänger bei
Boytronic, scheint die Namensrechte an der Band zu
halten. Sein ehemaliger Mitstreiter Hayo Lewerentz hat
sich jetzt mit anderen Musikern/Produzenten
zusammengetan und unter dem Namen das Album
veröffentlicht. Ist dieser Hintergrund jetzt wichtig?
Definitiv nicht. Boytronic sind nie wirklich relevant im
Popbusiness gewesen und haben nach dem relativ
wegweisenden Album „The Working Model“ (1983) nur noch
das gut produzierte Album „The Continental“ (1985)
veröffentlicht. Also hat man auf „Jewel“ als-Platte
nicht wirklich gewartet, oder?
„Jewel“
ist auch nicht mehr als eine gute Electroplatte, die es
eigentlich nicht nötig hat, mit einem Negativstempel
beworben zu werden. Stellenweise sehr an die 80er
angelehnt, ist es jetzt aber nicht so, dass die Platte
ein reines Retrowerk geworden ist. Stimmlich wurde das
Projekt durch James Knights verstärkt, einem Londoner
Musiker, der selbst musikalisch sehr an Sound und
Kompositionen festhält. Seine Stimme reiht sich in dem
Electropulk sehr gut ein, und er macht einen verdammt
guten Job.
Von den
Kompositionen höre ich leider viele, zu viele 80er
Referenzen heraus. Hier eine Anlehnung an Visages „The
Damned don’t cry“ (Time after midnight), da schwulstige
Italo-Schmachttöne (The Universe), und auch Italodisco
wird mir ein wenig zu viel zitiert. Völlig unnötig ist
das U2-Cover „New Years Day“ geworden. Wenn man so einen
Track schon ans Ende der Platte legt, dann wäre es auch
kein Verlust gewesen, den Track komplett zu streichen.
Damit haben die Herren sich definitiv keinen Gefallen
getan. Aber, die junge Käuferschaft, die mit diesem
Album angelockt werden soll, wird das Original wohl auch
gar nicht mehr kennen.
Von der
Produktion ist „Jewel“ sehr gut geworden, und man hört,
dass Hayo Lewerentz sein Handwerk versteht. Egal ob bei
Zimmerlautstärke oder auf dem Floor, „Jewel“ ist eine
tanzbare Platte geworden. Besonders Tracks wie „Share“
oder auch „Mad Love“ sind hier sehr zu empfehlen.
Wie ist
jetzt das Gesamturteil der Platte? Ganz ehrlich, wenn
ich da nicht drauf stehen würde, wäre es eine
respektable Platte geworden, die sich mit Sicherheit an
Acts wie z.B ZYNIC messen lassen muss, aber nicht
unbedingt in allen Disziplinen als Verlierer durchs Ziel
gelaufen wäre.
13.11.2017: Dave
Clarke -
The Desecration Of
Desire
Dave
Clarke ist vielen schon seit langer Zeit ein Begriff.
Als Techno-Ikone und Remixer hat er sich im Laufe der
Jahre einen Namen gemacht und sich für meinen Geschmack
nie so wirklich dem Mainstream angeschlossen. In seinem
Genre war er für mich immer ein bisschen Indie
geblieben.
Jetzt nach so langer
Zeit, fast fünfzehn Jahre nach seinem letzten Album,
meldet sich der Großmeister mit „The Desecration Of
Desire“ endlich zurück und setzt wieder neue Maßstäbe.
Ein Klangteppich abseits der Masse, der auch mir nicht
sofort ins Ohr ging. Gerade weil man heutzutage von so
vielen massenkompatiblen Platten überhäuft wird, erweist
sich „The Desecration Of Desire“ als Insel in der
Brandung. Schwerfällige Beats gepaart mit fesselnden
Gastvocals, so bohrt sich die Platte immer mehr in mein
Hirn.
Erster Hinhörer für mich
ist „Is Vic there“. Der Einstieg in die Platte ist
gemacht und macht mich bereit für das Gänsehaut
erzeugende „Frisson“ unterstützt durch Mt.Sims. Es ist
eine Klanglandschaft, die auch wenn es wohl keine
Technoplatte sein soll, sehr vielschichtig erscheint, so
dasses an allen Ecken und Kanten bumst und knarzt.
Nahezu soundtracktypische
Kompositionen wie das dramatische „Dot Fourty One“ oder
das ein bisschen nach Minimalelectro klingende „I’m not
afraid“ zeigen auf, wie Clarke die Platte hat entstehen
lassen. Man kann fast in der Platte lesen, wie Dave
Clarke wann drauf gewesen muss. So ist die Platte auch
chronologisch entstanden und die Tracks gemäß ihrer
Entstehung aufgereiht.
Besonders erwähnen muss
ich auch die tolle Zusammenarbeit Dave Clarkes mit Mark
Lanegan. Der gute Mark wird vielen eher durch die
Zusammenarbeit mit den Soulsavers bekannt sein. Dabei
hat er auch erfolgreich u.a. mit Moby oder UNKLE
zusammen gearbeitet. Seine Vocals verleihen „Charcoal
Eyes“den passenden Biss, das als Vorabsingle bereits
großen Appetit auf das Album gemacht hat und für mich
auch das treibendste und am ehesten floorgeeignete Stück
in der Anreihung von zehn außergewöhnlichen Tracks
bietet.
Dave Clarke hat gut daran
getan, sich so lange für die Platte Zeit zu lassen. So
konnte etwas Außergewöhnliches reifen und gedeihen. Eine
Ansammlung stilistischer Einflüsse verpackt in ein Paket
aus elektronischer Faszination. Danke dafür!
Es
ist mir ein Rätsel, wie WELLE: Erdball es machen. Seit
über zwanzig Jahren produzieren sie bereits Platten, die
irgendwo zwischen 50er Jahre-Romantik, NDW und
Minimalelektro platziert sind. Und dieses Genres
bedienen sie auch bedingungslos, ohne irgendwelche
aktuellen Musikeinflüsse zu beachten.
Das
Konzept lebt zwar mittlerweile schon sehr berechnend,
aber trotzdem scharen Honey, A.L.F. und die Mädels in
wechselnder Besetzung ihre Anhängerschaft um das
Radiogerät.
Gerade dreht sich die neue E.P. „Gaudeamus Igitur“ in
meinem Player, und alles ist wie immer bei WELLE:Erdball.
Dachte ich zumindest. „Vespa 50N Special“ reiht sich ein
in die Huldigungen gewisser Fortbewegungsmittel, die wir
seit gut fünfzig Jahren kennen sollten. Dabei will Honey
doch eigentlich nur eine Sache, kann sie aber in schöne
Worte fassen. Und die holde Maid geht ihm auf dem Leim.
Bei dem titelgebenden „Gaudeamus Igitur“ bin ich doch
ein wenig überrascht. Der Klassiker in Latein dargeboten
ist schon hörenswert. Und mir fällt auf, dass WELLE:
Erdball gewohntes musikalisches Terrain verlassen. „Gaudeamus
Igitur“ ist eine voluminöse Darbietung mit viel Platz
für Klang und Raum. Der Minimalismus tritt ein wenig in
den Hintergrund. Und ebenso erscheint mir bei „2000
Meilen unter dem Meer“ das Moderne ganz zaghaft Einzug
zu halten. Bahnt sich da doch eine Weiterentwicklung an,
die ich nicht für möglich gehalten habe? Es scheint so,
dass sie sich bewegen.
„Die
letzte Chance zu leben“ zeigt gut auf, dass auch eine
Funkapelle wie WELLE: Erdball sich vor der Realität
nicht verschließen kann. Weltuntergangsstimmung im
Dreivierteltakt. Da macht der Weltuntergang doch endlich
wieder Spaß. Auch wenn das Thema so bitter ist, muss man
halt nicht immer Trübsal blasen. Dafür ist es dann
sowieso zu spät und wir treten mit einem Lächeln ab.
Auch
wenn WELLE: Erdball hier nur eine gut gefüllte E.P.
vorlegen, machen sie sich dieser Tage auch wieder auf
Tour. Und ich bin mir sicher, dass die neuen Stücke sich
gut in das Repertoire einfügen und so die Wartezeit bis
zur neuen Fulltimesendung gut überbrückt wird.
25.04.2017: [:SITD:] -
Trauma Ritual
Wenn
ich es genau bedenke, habe ich tatsächlich in den
vergangenen Jahren keine schlechte Platte von [:SITD:]
zu hören bekommen. Ausgefeilte Kompositionen, die in
unglaubliche elektronische Klänge verpackt werden.
Qualitativ hochwertiger Future-/Electropop, der
seinesgleichen sucht und den Vergleich mit den großen
Bands nicht zu scheuen braucht.
Auch
jetzt in 2017 haben [:SITD:] nichts an ihrem Reiz
verloren. „Trauma-Ritual“, das mittlerweile sechste
Studioalbum, steht seinen Vorgängern in nichts nach.
Eine Platte, die danach schreit, laut gehört zu werden.
Mit vielen Highlights, mit Wiedererkennungswert. Beim
ersten Durchhören der Platte ist mir als erstes das
treibende „Cicatrix“ aufgefallen. Ob nun wegen der
wummernden Bassline oder doch wegen des fast schon
eingängigen Refrains kann ich jetzt nicht so genau
festlegen.
„Genesis“ stampft da schon etwas schwerfälliger und
aggressiver durch die Boxen. Der Track, der vorab als
Single veröffentlicht wurde klingt wie eine Anklage und
Verurteilung in einem. „Just give me
back my genesis, give me back my soul“, fordert Carsten
ein.
Ein
besonderes Highlight in vielerlei Hinsicht ist für mich
„Companion“, weil der Track von Keyboarder Thomas
gesungen wurde, der für meinen Geschmack bessere
gesangliche Qualitäten hat als Carsten, der sich mit
Sprechgesang begnügt. Wenn ich die Augen schließe, muss
ich zwangsläufig an die alten Zeiten von Apoptygma
Berzerk denken, als diese noch aktiv waren. Wobei [:SITD:]
hier nicht kopieren, sondern den Bogen weiter spannen
und mir ein bisschen Hoffnung geben, dass der „Futurepop“
auch heute noch qualitativ wertvoll produziert werden
kann.
Die
Aggrotech-Schiene kosten [:SITD:] bei „Post-Factual-Age“
mehr als aus. Kein geringerer als Donald Trump wird
gesampelt. Das Instrumentalstück strotzt nur so vor
aggressiver Grundstimmung, dass der folgende Track
„Mundtot“ leider ein bisschen verlorengeht. Dabei setzt
sich der Track direkt mit einem bitteren Thema
auseinander. Die Beeinflussung der Menschen durch
Manipulation und Diktatur. Die Läuterung erfolgt dann
mit dem Track „Elegie“. Das Verschließen vor der
Realität und die Suche nach einem Versteck, um dem
ganzen Wahnsinn zu entgehen, bringt „Trauma Ritual“ auf
den Punkt. Eine Platte, die sich mit dem auseinander
setzt, was uns heutzutage in der übertriebenen Welt um
die Ohren fliegt. Gibt es einen Ausweg? Das Armageddon
wird [:SITD:] nicht aufhalten, aber sie liefern die
derzeit beste Platte, um unseren Wahnsinn zu untermalen.
25.04.2017: Zynic -
Neon Obvilion
Wie
schön ist doch die Welt! Ein bisschen Synthiepop hat
noch nie geschadet. Auch wenn man meinen könnte, dass
gerade im Bereich der elektronischen Popmusik eigentlich
kein Blumentopf mehr zu holen ist. Ist das Feld doch in
den letzten zwanzig Jahren von zu vielen schlecht
produzierten Acts kaputt gemacht worden. In dieser
dunklen Zeit war es im Jahre 2011, als mit Zynic, dem
Projekt um Peter Siemandel, endlich auch qualitativ das
Licht wieder angeknipst wurde. Nicht nur durch das
wunderbare Depeche Mode-Cover „Any second now“ hat Zynic
schnell eine Duftmarke gesetzt.
Jetzt liegt mit „Neon Obvilion“ das bereits dritte Album
von Zynic vor mir, und mein kleines Herz hüpft vor
Freude durch die Wohnung. Schon das albumbetitelnde
„Neon Obvilion“ schreit mich an, dass ich verdammt
nochmal die Anlage lauter machen soll. Es wird das Rad
nicht neu erfunden, aber Zynic haben schon beim ersten
Track einen neuen Riemen auf die Orgel gelegt.
Electropop im Jahre 2017 hat seine Berechtigung, und die
mittlerweile vierte oder fünfte Generation ist endlich
wieder imstande, gute Popmusik zu produzieren.
Dabei kommt es mir so vor, als wenn Zynic sich nicht zu
sehr an den alten Helden bedienen. Es klingt frisch,
auch wenn man immer wieder danach sucht, wo man diese
Bassline oder das Synthie vielleicht schon einmal gehört
haben könnte. Es klingt wie eine Platte, zu der man im
Geiste schon tausend Nächte durch getanzt hat, obwohl
man sie gar nicht kennt.
Während Zynic auf den ersten beiden Platten jeweils eine
Coverversion (Any Second Now & Boys of summer)
untergebracht hatte, hat er es dieses Mal anders
gemacht. „Slice of life“ ist angelehnt an einen alten
Anne Clark-Klassiker, wobei der auch ganz schnell wieder
in dem Track versinkt. Es wabern DM-Samples durch den
Raum, und ich bin überrascht, dass ich diesen Track fast
nur mit guten alten Neuroticfish-Sachen vergleichen
kann, als diese noch eine wichtige Hausnummer waren.
„Trümmer“ spricht da eine andere Sprache und ist in der
heutigen Zeit aktueller als es uns lieb ist. Eine
Anklage an die neue rechte Gesinnung, die leider
mittlerweile wieder salonfähig wird. Das Leben ist halt
nicht nur Party und Blitzlicht. Aber Zynic finden hier
die richtige Ansprache irgendwo zwischen Kraftwerk und
DAF.
Ich
bin Synthiepopper, und Zynic zeigen auch warum. Der
Glaube an gute Melodien und tanzbaren Tracks ist nicht
verloren, und vielleicht bricht ja wirklich wieder eine
Zeit guter Electropop- und Danceplatten an. Ich bin auf
jeden Fall dabei.
Besonders möchte ich Euch auch die blaue Vinyl-Edition
ans Herz legen. Nicht nur für Sammler ein Muß, sondern
für alle, die gute Popmusik im passenden Rahmen genießen
wollen.
11.04.2017: Palast -
Palast
Es
ist schon merkwürdig, wie oft man in all den Jahren
versucht hat, die guten alten achtziger Jahre kulturell
auszuradieren. Musikalisch wie auch in der Mode. Es war
alles irgendwann uncool, und viele selbsterklärte
Stilikonen distanzierten sich lautstark gegen das
Jahrzehnt des Plastikpop und der schrecklichen Mode.
Dass
die Achtziger aber mittlerweile wieder hoffähig sind,
merkt man gut und gerne daran, dass es einem heute
überall die Referenzen an das Jahrzehnt ins Gesicht
schlägt. Besonders in der Musik ist es immer wieder zu
merken. Egal, ob die Helden von früher wieder oder noch
immer da sind oder ob sich der musikalische Nachwuchs
auf die Zeit des kalten Krieges bezieht. Bewusst oder
unbewusst, die Achtziger sind allgegenwärtig.
Palast heißt die Band, dessen Debut sich gerade in mein
Herz dreht. Ihr selbstbetiteltes Album transferiert
nicht nur in die Achtziger, sondern kombinieret den
Einfluss des Synthiepop gekonnt mit modernen
Produktionsmöglichkeiten. Die Platte beinhaltet
Perlen wie das dramatische „Tell me why“ oder das
Italo-Disco-beeinflusste „She can dance“, die man auf
jeder Achtziger-Compilation unterbringen könnte, ohne
dass es selbst fundierten Zeitzeugen auffallen würde.
Bemerkenswert sticht für mich die erste Single „Mirror
Mirror“ in der Ansammlung von Hits hervor. Dass
Mastermind Sascha Pace auch in Sachen Songwriting kein
Amateur ist, wurde mir schon beim ersten Durchlauf klar.
„Mirror Mirror“ hat auch oder gerade wegen des
eingängigen Refrains Mainstreamcharakter und wäre für
mich eine Bereicherung in der deutschen Radiolandschaft.
Und
der Faden zieht sich auch weiter durch die Platte. Das
getragene „Nightfall“ mit seinem bombastischen Refrain
ist ebenso ein Beispiel dafür, dass ich mich frage, wo
diese Band in all den Jahren war.
Alles hat ja bekanntlich irgendwann auch mal ein Ende,
und das Ende der Platte lässt mich mit dem grandiosen „Unraveling
Skies“ zurück und ich bekomme von diesem modernen
Nostalgieflash fast nicht genug.
Aber
was macht „Palast“ jetzt so herausragend? Die
charakteristische Stimme von Sascha Pace, die irgendwo
zwischen Pascal Finkenauer und vielleicht Glen Gregory (Heaven
17) angesiedelt ist, die herausragenden Kompositionen
oder doch die Retroproduktion mit modernen Mitteln?
HURTS haben es auf internationaler Ebene vorgemacht und
haben sich dann irgendwann selbst verbraucht. „Palast“
bietet durch die Mischung von allem einen komplexen Mix,
der die Platte auch bei mehrfachem Hören nicht abnutzt.
Live
haben PALAST sich bereits auf Tour mit Joachim Witt
bewiesen und werden jetzt auch Mono Inc. auf ihrer
anstehenden Tour begleiten. Wenn es live auch nur
halbwegs so unterhaltsam ist, wie auf der Platte, wird
es für mich ein Vergnügen werden.
Ich
weiß jetzt spontan gar nicht, wann ich X-Marks The
Pedwalk das erste Mal zur Kenntnis genommen habe. Mal
waren sie da, dann wieder für eine lange Zeit in der
Versenkung verschwunden. Bleibenden Eindruck hat die
Band in den ganzen Jahren bei mir ehrlicherweise nicht
hinterlassen. Warum auch, sind sie doch in einer Zeit
präsent geworden, wo es eine wilde und nicht immer
hochqualitative Schwämme an Electronicbands gegeben hat.
Da konnte es auch mal passieren, dass ein guter Act an
einem vorbei geht. Aus heutiger Sicht.
Noch
ist es ja nicht zu spät, denn schließlich haben X-Marks
The Pedwalk sich jetzt mal wieder zusammengefunden, um
wieder zu musizieren. „Secrets“ heißt das neue Album,
und ich nehme mir für diese Platte mehr Zeit als für
viele andere Platten. Bereits beim ersten Durchlauf habe
ich für mich beschlossen, dass „Secrets“ eine ganz
besondere Platte zu sein scheint. Feinste elektronische
Klänge, die bei mir Erinnerungen und Neugierde auf mehr
wecken.
„Masterpiece“
ist als Opener mehr als eine Programmansage für die
Platte. Harte Beats mit verspielten Synthies und eine
durch den Verzerrer gejagte Stimme von Sängerin
Estefania zeigen auf, wo die Reise hingeht, und dass
auch heute immer noch tolle innovative elektronische
Tanzmusik produziert werden kann. Das albumbetitelnde „Secrets“
schließt sich dem nahtlos an. Wer den Track mit
Frühwerken der Band vergleicht, wundert sich, welch
Wandlung die Band doch durchgemacht hat. Vom EBM zu
einem, nennen wir es mal „Mainstream“-Electro-Dancetrack.
„Secrets“ würde sich wunderbar in die Radiolandschaft
einbringen.
Anspruchsvoller wird es dann mit „Ghosts“, einem
mystischen Dancetrack, der so ziemlich alles aus dem Hut
zaubert, und den meine Nachbarn mittlerweile auch schon
mitsummen können. Laut meinem iTunes der mit Abstand am
meisten gespielte Track in meinem kleinen Reich. Wem es
bei „Ghosts“ nicht juckt, danach zu tanzen, weiß nicht,
was er verpasst. Hätte ich nicht in das Booklet
geschaut, hätte ich es dann auch verpasst, zu bemerken,
dass „Sacred“ nicht der zweite Part von „Ghosts“ ist.
Dabei kommt mir besonders die Bassline so vertraut vor.
In meinem Kopf denke ich an „Hypnotic Tango“, einem
Achtziger-Italo-Klassiker. Es klingt nicht abgekupfert,
sondern eher subtil beeinflusst. Gut gemacht!
Eine
Gänsehaut bekomme ich bei „Breathe“, einer schwermütigen
Ballade. „Words faded away, just memories… and I breathe“.
Estefania scheint ums Überleben in der Einsamkeit zu
kämpfen. Traurig, depressiv, allein.
Das
Beste kommt ja meist zum Schluss, und so findet das
Album mit „Crank Machine“ ein verdientes Finale voller
Einflüsse, die von einem erfahrenen musikalischen Leben
zeugen. Kraftwerk trifft auf The Cure und The Cure auf
Italo-Disco. X-Marks The Pedwalk kombinieren viele
Einflüsse auf “Secrets”, ohne dass es kopiert oder
langweilig wirkt. Zwar haben sie heute nicht mehr viel
mit der Band aus den Anfangstagen gemein, und die
EBM-Einflüsse sind eher dem dancelastigen Electro
gewichen, aber sie tun gut daran. „Secrets“ zeigt, dass
sich eine Band nach all den Jahren immer noch ein Stück
weiterentwickeln darf und still und leise neue Akzente
setzt.
11.04.2017: Soldout -
Forever
Ich
weiß noch, als ich Soldout mit ihrem Electroclash mal
als Support für FRONT242 für mich entdeckt habe. Seitdem
sind schon so einige Jahre ins Land gezogen, aber ich
habe bis heute das belgische Duo nie so wirklich aus dem
Fokus verloren. Auch, wenn ich bei der letzten
Veröffentlichung nicht so viel Gefallen gefunden habe,
habe ich gerne auf die ersten Alben zurückgegriffen.
Mittlerweile legen Soldout mit „Forever“ ihr fünftes
Fulltimealbum vor, und sie haben wieder zu ihrer alten
Stärke zurückgefunden. Schon der Opener „Call me out“
zeugt für mich davon, dass Charlotte Maison und David
Baboulis sich musikalisch weiterentwickelt haben, ohne
sich und ihrem Stil untreu zu werden. Die Kompositionen
klingen ausgereifter und sind voller Potenzial für mich.
Das verspielte „Breaks“, das ein wenig wie ein
Electro-Reggae-Stück klingt, zeigt die Leichtigkeit und
Experimentierfreudigkeit auf, welche ich bei Soldout
schon immer geschätzt habe.
Den
Weg zurück finden Soldout mit dem Electroclash-Track „Do
it again“, der meine Nachbarn wahrscheinlich schon in
den Wahnsinn getrieben hat. Bereits beim ersten
Durchhören hat sich „Do it again“ zu meinem Topfavoriten
gemausert. Harte Bassline mit verspielten
durchgeknallten Synthies. So will ich das haben. Und
über allem steht Charlottes Stimme, die sich auf dem
ganzen Album nicht in den Vordergrund drängt, sondern
selbst zu einer Komponente des Ganzen zu werden scheint.
Diese Floorfillereigenschaften finden sich ebenso in dem
genialen „Opression“ wieder mit seinen Tempowechseln und
den, wie soll es anders sein, EBM-lastigen Basslines.
Die alte belgische Schule lässt sich nicht verleugnen.
Soldout haben auf „Forever“ eine breite Palette an
Songstilen zusammengeführt, wie es viele nicht vermuten
würden. Referenzen an den französischen Chanson,
Berliner LowSpirit-Einflüsse und Oldschool-EBM auf einer
Platte zu mischen, ohne dass es chaotisch wirkt, ist
eine Gabe, die ich an Soldout sehr schätze. Von daher
lege ich jedem Interessierten an elektronischer Musik
die Platte wärmstens an Herz.
Dank
prominenter Hilfe könnten Soldout jetzt auch einem
breiteren Publikum bekannt werden. So hat keine
geringere als Madonna auf ihrem offiziellen
Instagram-Account „Forever“ angepriesen. Und auch, wenn
die Dame schon in die Jahre gekommen ist, Geschmack
beweist sie immer noch.
29.03.2017: Depeche
Mode - Spirit
Ich
habe bewusst gewartet, bevor ich mir eine Meinung bilde
zu dem, was im Vorfeld heiß diskutiert und verrissen
wurde. Depeche Mode haben es mal wieder geschafft. Auch
mit ihrem 14. Studioalbum „SPIRIT“ polarisieren sie
wieder einmal und teilen ihre Anhängerschaft in die
Lager der Lover und der Ewiggestrigen Hater.
Nach
den aus heutiger Sicht gesehen eher durchschnittlichen
Alben der letzten zwei Dekaden haben Depeche Mode mit
ihrem neuen Produzenten James Ford eine kraftvolle,
kantige Platte gemacht, wie ich sie ehrlicherweise heute
nicht mehr erwartet hatte. „SPIRIT“ ist böse und direkt.
Martin Gore hat, wie ich finde, seit 1983 nicht mehr so
politisch orientiert seine Texte verfasst und, auch wenn
es schon tausendmal gesagt wurde, die wohl aktuellste
Platte gemacht die 2017 einen gesellschaftskritischen
Soundtrack zum Leben bietet.
„Going
Backwards“, der Opener der Platte, ist eine klare Ansage
an das, was wir mit unserer Gesellschaft betreiben. Ein
Raubbau an der Vernunft und Menschlichkeit und ein
Abdriften in die Anonymität der sozialen Medien. Selten
wurde ein Depeche Mode-Album mit so einem druckvollen
Stück eröffnet, das seine ganze Entfaltung erhält, wenn
es laut durch die Boxen dröhnt, bzw. Depeche Mode ihre
gerade absolvierten Kleinkonzerte (Berlin, Paris,
Glasgow) eröffnen. „Going Backwards“ zeugt von einem
Rock und Blues, dem Martin Gore und Dave Gahan hinterher
hecheln, seitdem Dave damals mal anfing, das Geld für
den Friseur zu sparen.
„Where‘s
the revolution“ hat bei mir einige Zeit gebraucht. Das
ist vielleicht auch den modernen Medien zu schulden, da
ich heutigen Veröffentlichungen in nicht physischer Form
(Vinyl, CD) nicht viel abgewinnen kann. So hat das Stück
sich für mich auch erst auf „SPIRIT“ so richtig
eröffnet. Die Frage, die für mich allerdings
unbeantwortet bleibt, ist die, wo Martin Gore dann
steht, wenn andere den Mut haben, auf die Straße zu
gehen. Ob er sich dem Zug dann anschließt (Get on board…)
oder doch nur zuschaut, bleibt ein wenig offen.
Zweifellos hat „Where’s the revolution“ aber das Zeug zu
einem Klassiker und kann sich mit zu Stücken wie „People
are people“ oder „Wrong“ einreihen.
„The
worst crime“ ist so düster und deprimierend, dass es für
das ganze Album steht. Hier kommt für mich das erste Mal
positiv zur Geltung, dass Dave Gahan sich durch seine
Arbeit mit den Soulsavers stimmlich deutlich weiter
vorwagt, als noch auf der „Delta Machine“. Von dem
Szenario, was Gore in seinem Text aufzeichnet, fühle ich
mich an die Zeiten von „Shame“ (von „Constrution Time
Again“ 1983) erinnert. Es ist eine Anklage. Punkt, aus!
Was
man Depeche Mode, auch wenn sie immer so hart und tough
wirken wollten, nie nachsagen konnte, ist, dass sie
boshaft oder radikal sind. Mit „Scum“ kehrt eine
hasserfüllte Stimmung ein, die mir bei so viel
Direktheit das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Pull
the trigger…!“ fordert Gahan mit aggressivem Ton und
macht dem Angesprochenen unmissverständlich klar, dass
er das Recht zu leben verwirkt hat.
Erstaunlich ist, dass der beste Track auf „SPIRIT“, wenn
nicht sogar das beste und tiefgründigste Stück von
Depeche Mode seit „Clean“ (Violator 1990) oder
vielleicht „In your room“ (Songs Of Faith And Devotion
1993), nicht aus der Feder von Martin Gore stammt. Dave
Gahan braucht zwar immer noch Hilfe beim Komponieren,
diesmal durch Christian Eigner und Peter Gordeno, aber
„Cover me“ ist ein Seelenstriptease mit einer
zuckersüßen Melodie, wo Gahan gesanglich zu absoluter
Höchstform aufläuft.
„SPIRIT“
zeugt von einer Arbeit, die bestärkt wird durch die
Unterstützung von James Ford. Depeche Mode biedern sich
nicht jungen Trends an, sondern sie bleiben auf ihrer
Spur und schaffen weiterhin ihr eigenes Genre. Waren
Depeche Mode durch ihre Arbeit mit Ben Hillier, Mark
Bell und Tim Simenon eher auf Minimalismus konzentriert,
hat James Ford ihnen wieder eine klangliche Tiefe und
Breite nahegebracht, wie sie nur zu Zeiten von Flood
und/oder Alan Wilder vorhanden war.
Aber
warum polarisiert „SPIRIT“ dann so? Ist es die Tatsache,
dass Depeche Mode immer noch auf der Suche sind? Kaum
eine andere Band schafft es in mehr als 35 Jahren
Bandgeschichte, dass keine Platte der anderen ähnelt.
Schon mit dem Stilwechsel von „Violator“ zur „Songs Of
Faith And Devotion“ haben sie es ihrer Anhängerschaft
nicht leicht gemacht und mit Sicherheit auch einige auf
ihrem Weg verloren. Aber die Gegenwart gibt ihnen
uneingeschränkt recht, dass sie immer noch auf dem
richtigen Weg sind. Kritische Stimmen wird es in der
Anhängerschaft von Depeche Mode immer geben. Keiner
kehrt ohne Grund der Band den Rücken, aber
seltsamerweise erinnern mich die Fans von Depeche Mode
Partnern in einer langanhaltenden Beziehung. Früher war
alles besser. Bei Depeche Mode war es die Musik, die
Texte, das Aussehen. In einer Partnerschaft war es das
Vertrauen, der Sex und vielleicht die Liebe. Zwar ist
alles weg, aber man erträgt es weiterhin, weil man sonst
nichts mehr im Leben hat, worüber man sich aufregen
kann. Natürlich kann man versuchen „SPIRIT“ mit einem
Frühwerk von Depeche Mode vergleichen, aber seien wir
mal ehrlich zueinander. Schauen wir in den Spiegel,
haben auch wir uns verändert, oder?
Und
Veränderung zeugt von Erfahrung, und Erfahrung zeugt von
Leben. Und Depeche Mode leben auch 2017 immer noch, und
das hoffentlich noch lange.
31.01.2017: Austra -
Future Politics
Frauenprojekte
in der elektronischen Musik sind nicht ganz so weit
verbreitet, wie wir es manchmal glauben. Und dann unter
den wenigen Projekten auch noch die guten zu filtern,
ist meist noch schwerer. Einfach, weil die Bandbreite
nicht vorhanden ist.
Ein
Ausnahmeprojekt ist ohne Zweifel die Band AUSTRA. Die
kanadische Band veröffentlicht mit „Future Politics“
bereits ihr drittes Album und malt elektronische Bilder
an die Wand, die zu dieser Zeit ihresgleichen suchen.
Ist es Musik für den Tanzboden oder doch eher zum
Zurücklehnen und zuhören? Gekonnt verschwimmen bei
dieser Platte die Grenzen. Die Stimme von Katie Stelman
schwankt zwischen der elfengleichen Atmosphäre einer
Susan Sundfor und manchmal auch einer Übergestalt wie
Björk. Die Tracks sind experimentell und doch fesselnd.
Die erste
Single „Utopia“ hat mich gleich gefangengenommen.
Wundervoller Elektropop mit weichen Melodien und
treibendem Beat. „I am a monster“ klingt wie ein
Seelenstriptease, wenn man ganz unten angekommen ist. „I
dont feel nothing anymore“ klagt Stelman und vor meinem
geistigen Auge sehe ich eine Gestalt im freien Fall. Die
Welt um sie herum rauscht vorbei und sie kann nur noch
beobachten und fühlt bei allem, was um sie herum
passiert, nichts. Egal ob persönliche Tragik oder die
depressive Endzeitstimmung in der Welt. Es rauscht
unaufhaltsam an ihr vorbei und lässt sich nicht stoppen.
Aber nicht
die ganze Platte strotzt vor depressiver Melancholie.
Eine gewisse Hoffnung setzt bereits bei „Angel in your
eye“ und spitzt sich in dem sehr tanzbaren „Freepower“
weiter zu. Macht Euch frei von den Zwängen, die Ihr Euch
selber angeeignet habt und Euch durch die Medien und der
Technik aufdiktiert wurden.
„Future
Politics“ strotzt für mich voller Widersprüche in sich.
AUSTRA malen uns eine Zukunft, die wir nicht bestimmen
oder erahnen können. Sie haben auf der langen Reise eine
Platte kreiert, die besser das Heute und Morgen nicht
beschreiben kann. Der Tanz auf dem Vulkan und das Lecken
der Wunden danach. Die Welt steht am Abgrund, und wir
schauen über den Rand und erwarten voller Freude das
Grauen. So würde ich „Future Politics“ am ehesten
beschreiben. Keine Platte für das Autoradio, mehr für
den Klangfanatiker, den Zuhörer, den Genießer.
Am Ende
des Tunnels wartet Stelman und breitet ihre Arme aus.
Wir sind nicht in Sicherheit, aber wir sind
entschleunigt. Mehr brauchen wir doch im Moment auch gar
nicht.
05.01.2017: Mono Inc -
Together Till The End
In
den letzten Jahren habe ich Martin Engler und seine
Mitstreiter von Mono Inc. in mein kleines Herz
geschlossen. Wenn ich mich so durch ihren Backkatalog
höre, finde ich keine einzige Platte, die mich
enttäuscht hat, und ich rechne den vieren hoch an, dass
sie sich auf der Bühne im wahrsten Sinne des Wortes den
Arsch abgespielt haben. Wie sie das konditionell
aushalten, ist mir ein Rätsel. Aber wenn man Mono Inc.
schon mal live gesehen hat weiß man, dass sie Spaß an
der Sache haben und immer wieder den Ehrgeiz verspüren,
immer die beste Show zu spielen.
Nachdem es sie mit dem letzten, mittlerweile auch schon
zwei Jahre alten Album „Terlingua“ in den wilden Westen
verschlagen hatte, sind sie diesmal in See gestochen um
gemeinsam die Weltmeere bis zum bitteren Ende zu
bereisen. Dabei wirkt der Titel der neuen Platte mit „Together
Till The End“ für mich etwas doppeldeutig. Zum einen als
Treueschwur, zum anderen wie ein Abschied. Und dieser
Faden zieht sich für mich durch das gesamte Album. Sie
gehören zusammen und keiner ohne den anderen.
Der
Opener „The Banks Of Eden“ beschwört den Seefahrergott
herauf, und eine maritime Stimmung kommt schon auf, wenn
Engler das Schiff durch den Sturm steuert. Mit viel
Humor klingt es wie ein Seemannslied. Mono Inc. meets
Santiago. Nur nicht so abgedroschen, sondern so wie Mono
Inc. es am besten können. Sie erzählen eine Geschichte
von Abschiedsschmerz, aber das Schiff muss hinaus in die
See.
Das
albumbetitelnde „Together till the end“ ist da schon
mehr wieder der Engler, wie ich ihn kenne. Die Einheit
wird beschworen. Der Mann hat eine Hand für gute
Melodien und verpackt diese mit Hilfe seiner Mitstreiter
in ein Stück, dass wir vielleicht schon mal gehört
haben, aber trotzdem anders und neu sind. Düsterer wird
es dagegen schon bei dem Stück „Boatman“. Ein Stück, das
sich gleich beim ersten hören in mein Hirn gebrannt hat.
Nicht nur, weil kein geringerer als Ronan Harris (VNV
Nation) hier sein Debüt als Duettpartner gibt. Das Stück
ist einfach ein Brett. Wie oft haben wir schon nach
demjenigen gerufen, der uns weit weg von dem bringt, was
wir nicht mehr ertragen können oder wollen. Das Stück
bereitet mir eine eisige Gänsehaut, was dieses Mal gar
nicht so unangenehm ist.
Ein
weiteres Highlight auf der Platte ist mit Sicherheit „Children
of the dark“. Hier haben Mono Inc gleich mehrere Gäste
eingeladen. Martin Engler teilt sich den Gesang mit
keinen geringeren als Joachim Witt, Tilo Wolff (Lacrimosa)
und Chris Harms (Lord Of The Lost). Der Track hat das
Zeug zur Hymne der dunklen Szene und so wird es auch
gepusht. „Forever and a day“ ist ein weiteres Stück in
dem Abschiedsschmerzpuzzle der Platte. Es ist ein
kleiner Blick in den Spiegel, wo wir einsehen müssen,
dass nicht alles wirklich immer so schön ist, da wir uns
immer wieder selber ein Bein stellen. Den Refrain singt
Engler hier zusammen mit Kata Mia, der Schlagzeugerin
der Band. Warum bekommt sie eigentlich bei ihrem
stimmlichen Können nicht mal einen Solotrack? Verdient
hätte sie es schon so lange.
Abgeschlossen wird das Album durch das Stück „This is my
life“, was ein bisschen für mich wie eine Erklärung ist
für das, was in der nächsten Zukunft kommen wird. Engler
beruft sich darauf, sein Leben zu leben und er steht
dafür ein, was er macht. Bis zum Ende seines Lebens.
Egal, wo der Ozean hinführen wird. Die Reise ist noch
nicht zu Ende.
Was
mir beim durchhören der Platte auffällt ist, dass Mono
Inc. konsequent auf deutsche Texte verzichten. Ebenso
sind die Texte zwar voller subtiler Aussagen, aber ohne
persönlichen Bezug zu nehmen. Einen Gefühlsausbruch wie
bei „An klaren Tagen“ gibt es dieses Mal nicht. Vielmehr
besticht die Platte durch ihre Geschlossenheit in der
Thematik des Seefahrers.
Als
der Albumtitel bekannt gegeben wurde, klang alles nach
Treueschwur und als das Cover veröffentlicht wurde, sah
es aus, wie eine große Reise, die niemals enden könnte.
Doch unlängst hat Martin Engler auf der vergangenen Tour
angekündigt, dass Mono Inc. sich nach diesem Album und
der folgenden Tour aus dem Rampenlicht zurückziehen
wird. Ob für eine kurze Pause oder doch für immer bleibt
abzuwarten.
14.12.2016: The Boss
Hoss - Dos Bros Live
Ich
weiß ehrlich nicht, was alle an The Boss Hoss so finden.
Okay, durch ihre Auftritte als Jury bei „The Voive“ und
als Gäste bei „Sing mein Song“ haben sie ihren
Bekanntheitsgrad nochmals erhöht. Wenn man bedenkt, wo
die Jungs her kommen, muss man schon seinen Hut ziehen.
Sie haben sich in den letzten Jahren im wahrsten Sinne
des Wortes, den Arsch abgespielt. Und gerade live sind
The Boss Hoss eine große Bank. Das habe ich vor ein paar
Jahren, bei ihrer ersten Fulltime-Live-DVD „Flames of
Fame“ schon mal erleben können. Selbst wenn man sonst
ihre Musik nicht so mag, irgendwann lässt man sich von
den Livequalitäten von The Boss Hoss anstecken.
Als
Dankeschön an die Fans haben sie jetzt das kleine
Livealbum „Dos Bros Live“ plus DVD auf den Markt
geworfen. Und auch hier passiert es wieder, dass man
sich von der Show unweigerlich anstecken lässt. Die
Jungs sind dabei gar nicht so ansehlich, trotzdem stehen
die Frauen drauf. Warum nur? Das Album, sowie die DVD
enthalten die besten Tracks des gleichnamigen
Studioalbums plus ein paar ganz wenige Zugaben.
Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn sie „Joline“
zusammen, wie wir es alle kennen, mit den Common Linnets
geträllert hätten, aber wir können ja nicht alles haben.
Als kleines Geschenk unter dem Gabentisch macht sie das
Album ganz gut. Es als Fulltimealbum würde ich es nicht
bezeichnen wollen, aber als Geschenk an die Fans für die
letzten zwei Jahre erfüllt es seinen Zweck. Leider wird
aber das Liveerlebnis dadurch ein wenig getrübt, dass
die DVD aus einzelnen Clips besteht und die Tracks nicht
als komplettes Konzert zusammen geschnitten wurden. Das
hätte man besser machen können. Die DVD lebt von
schnellen Schnitten und einem wirklichen guten Bild. Im
Audiobereich ist die DVD sowie die CD verdammt gut
gemischt. Was das Ganze noch amüsanter macht ist, wenn
man in den ersten Reihen des Publikums tatsächlich
bekannte Gesichter sieht.
Als
ich das erste Mal von Eisfabrik gehört habe, hatte ich
befürchtet, dass es sich wieder einmal um ein Projekt
ohne lange Halbwertzeit handelt. Aber schon das erste
Album „Eisplanet“ (2015) hat mich positiv überrascht.
Die gemeinsame Tour mit Mono Inc. lief für das Trio auch
recht erfolgreich. So ist es kein Wunder, dass Eisfabrik
jetzt bereits mit dem zweiten Album „Achtzehnhundertunderfroren“
nachlegen.
Die
Platte macht im Großen und Ganzen da weiter, wo
„Eisplanet“ an seine Grenzen gestoßen ist und geht noch
ein großes Stück weiter. Treibende Beats, grandiose
Melodien und so ziemlich jedes Stück auf der Platte ein
potenzieller Floorfiller. Schon der hymnenhafte Opener „The
Coldest Summer“ lädt auf eine Reise in die kalten
Regionen der Erde ein und lässt das Eis schnell
schmelzen. Und es geht so auch weiter. Die drei Jungs
von Eisplanet haben ihr Handwerk gelernt und die
Maschinen fest im Griff. Die Platte auf Zimmerlautstärke
zu drehen grenzt an ein Verbrechen. „A Murdered Love“
lässt sich fast mit nichts szeneähnlichem vergleichen.
Futurepop oder doch Hardfloor-EBM? Das Weiß ist das neue
Schwarz.
Aber
Eisfabrik können nicht nur laut und hart wie Väterchen
Frost sein. Electro und deutsche Texte können schnell
peinlich wirken. Die beiden Stücke „Zu den Sternen“ und
„Die letzte Seefahrt“ zeugen von dem Können, nicht nur
gute Musik, sondern gute Texte zu kreieren und beides so
zu kombinieren, dass es Ohrwurmcharakter hat. „Zu den
Sternen“ ist eine Liebesbotschaft eines einsamen
Kämpfers, der sehnsüchtig nach seinem Herzmenschen
sucht.
„Die
letzte Seefahrt“, der Track mit dem das Album endet, hat
was von Abschied vom Leben. Den Tod vor den Augen.
Besser kann so eine vielfältige Platte kaum enden. Das
Tempo wird gedrosselt, bevor sich Eisfabrik wieder auf
die Reise machen.
Wohin wird die Reise gehen? Eisfabrik haben mit „Achzehnhundertunderfroren“
bewiesen, dass sie keine Eintagsfliege in der
Electroszene sein werden, sondern dass die nächste
Generation der Bands, auf die man sich freuen kann,
bereits in den Startlöchern steht. Live sind Eisfabrik
nicht weniger faszinierend als auf Platte. Da kann es
dann schon mal sein, dass ein Yeti auf der Bühne tanzt,
ein Roboter seinen Auftritt genießt, und dass es
schneit. Die Jungs lassen sich was einfallen. Von daher
kann man sich auf die anstehende Club-Tour Anfang 2017
schon jetzt freuen.
11.12.2016: KNIGHT$ -
What's your poison e.p.
Ja,
was soll ich sagen. Die Achtziger leben immer noch und
sind nicht totzukriegen. Immer wieder gibt es Bands, die
ihren Einfluss in dem Jahrzehnt der Schulterpolster
suchen. Einige besser, andere eben nicht. Eine der für
mich besten Bands, die in diesem Genre jagen, sind seit
vielen Jahren Zoot Woman aus England. Aus Deutschland
schwappte dieses Jahr Drangsal auf den Markt und
versprach auch so einiges.
Jetzt gibt es aus England das nächste Achtziger-Ding.
KNIGHT$ nennt sich die Formation und hat gerade die
erste E.P. „What‘s Your Poison“ veröffentlicht. Ich bin
überrascht, wie sehr sich KNIGHT$ an die Vorlagen aus
Italopop und 80s-Disco doch halten.
Ich
fühle mich schon fast genötigt, die vier Stücke ein
weiteres Mal durchlaufen zu lassen, weil eine positive
Stimmung erzeugt wird. Der Titeltrack geht ins Ohr und
bleibt da auch wie ein lästiger Parasit hängen. Bei mir
zumindest, bis ich zu dem Track „What we leave behind“
komme. Der Teufel liegt im Detail, und ich habe immer
schon meine Favoriten auf B-Seiten und bei Bonustracks
gefunden, die mich mehr begeistern als die eigentliche
Single. Einziges Manko ist bei dem Stück, dass es mit
zweieinhalb Minuten viel zu kurz ist. Hier hätte ich
gerne eine gute alte Extended-Version auf mehrfarbigem
Vinyl, die ich immer wieder drehen lassen würde.
Ein
gutes Debüt, das aufhorchen lässt. Bleibt allerdings zu
hoffen, dass KNIGHT$ auch langfristig so überzeugen
können, ähnlich wie Zoot Woman, und immer wieder durch
kleine Nuancen an den Reglern überraschen können.
KNIGHT$ ist derzeit in Deutschland als Support bei den
Shows von Melotron auch live zu bewundern.
19.10.2016: The
Mission - Another Fall From Grace
Dass
ich von The Mission nochmal was zu hören bekomme, daran
habe ich doch schon fast nicht mehr geglaubt. Und wenn
es qualitativ eine so hochkarätige Platte wie „Another
Fall From Grace “ist, dann hat sich das Warten mehr als
gelohnt.
The
Mission machen für mich quasi da weiter, wo sie mit
ihrem letzten Album „The Brightest Light“ (2013)
aufgehört haben. Einfühlsame Tracks, die immer wieder
eine gewisse düstere Atmosphäre in sich tragen.
Wayne
Husseys tiefe Stimme bereitet mir immer wieder
Wohlbehagen. Natürlich sind die großen Zeiten von The
Mission auch schon länger vorbei, was aber ihrer
Kreativität keinen Abbruch tut. „Another Fall From
Grace“ bietet für mich eine Zeitreise, ohne altbacken zu
wirken. The Mission biedern sich nicht aktuellen Trends
an, oder neuen Produzenten, die ihre Platten
charttauglich pimpen. Und das ist auch gut so.
Schon der
Albumtitel gebende Opener zeigt mir, ich bin wieder
angekommen, wo ich mich wohlfühle. Das sind die Klänge,
die ich als Soundtrack für diesen Herbst brauche. Meine
absoluten Favoriten sind auf der Platte aber dann doch „Meet
Amor Phosis“ oder das bluesige „Only You & You alone“.
Ich bekomme gerade bei letzterem eine wahre Gänsehaut.
Kerze, Glas Rotwein und diese Platte. Danke!!!
Live sind
The Mission immer schon eine sichere Bank gewesen. So
wird es mit Sicherheit auch wieder auf dieser Tour sein,
die ich persönlich jedem nur ans Herz legen kann.
27.09.2016: Beyond
Obsession - Moments Of Truth
Es
ist als Newcomer schon eine schwere Last. Das erste
Album, oh wie toll und aufregend. Das zweite Album mit
der großen Angst, ob man irgendwie an das Debut heran
kommt. Der große Befreiungsschlag kommt dann meist mit
der dritten Platte. Hier kann man die gemachten
musikalischen Erfahrungen einfließen lassen und
reflektieren, was man vielleicht bei den beiden
Vorgängern besser gemacht hätte.
Zum großen
hörbaren Befreiungsschlag haben Beyond Obsession jetzt
mit „Moments of Truth“ haben sie sich qualitativ neu
positioniert. Eine Lücke mit
Einflüssen von OMD bis Howard Jones ausgefüllt, ohne
noch irgendwie kopiert zu klingen. Bereits der Opener „Louder“
trägt seinen Namen zu Recht. Ich bin überrascht von der
professionellen Energie, die von den beiden ausgeht.
Eine sehr schöne Melodie und wie ich zugeben muss, keine
Stimme mehr von Sänger Nils, die mir gleich auf die
Nerven geht, weil er mir in die Ohren plärrt. Er hat an
sich gearbeitet. Davon gehe ich aus, da er auch bei „Weight
of Words“, meinem ersten Lieblingstrack auf der Platte,
seine Stimme besser benutzt als auf den ersten beiden
Alben zusammen.
Ich weiß
nicht, was Beyond Obsession gemacht haben, nachdem sie
vom Trio zum Duo geschrumpft sind, aber es hat ihnen gut
getan. Wer sich die Komposition von „Moment of truth“
anhört, weiß gar nicht recht, wo er jetzt befindet. Im
Jahre 2016 oder Irgendwo in den 80ern. Der Track weckt
nostalgische Gefühle irgendwo bei Erasure oder OMD. Es
ist eine Perle auf der Platte. Die Einfachheit ihrer
Frühwerke ist Vielschichtigkeit in den einzelnen Tracks
gewichen. Fein gemacht.
Und sie
verstellen sich nicht auf „Moments of Truth“. Beyond
Obsession können noch so die weißen Martens schnüren. Es
sind nette Kerle, die eine Schwäche für Synthiepop
haben. Und das ist gut so, da man, wenn ich ehrlich bin,
Sänger Nils auch den Bad Boy nicht abnehmen würde.
Dafür
können sie aber Drama. „Memories Fade“ ist so ein Track.
Ein weiterer Track, wo mir auffällt, dass Beyond
Obsession weiter gegangen sind. Ein Saxophon hätte ich
jetzt nicht erwartet. Das Stück ist in meinen Augen
musikalisch sehr anspruchsvoll und zählt zu meinen
Favoriten. Wen verabschiedet Nils in dem Stück? Einen
imaginären Freund oder vielleicht doch den abhanden
gekommenen dritten Mann, der die beiden musikalisch
vielleicht ausgebremst hatte? Wer weiß es schon so
genau. Beyond Obsession haben sich wahrlich frei
geschwommen und den Grundstein einer interessanten
Karriere gelegt. Musik für den homo- und
heteroerotischen Dancefloor zu gleichen Anteilen. Mehr
davon, bitte - danke!